Seit Monaten fiebere ich dieser Reise entgegen. Morgen geht es endlich los. Unsere Trekking-Rucksäcke stehen fertig gepackt im Flur. Wir haben bereits online eingecheckt. Alle Unterlagen doppelt geprüft: Reisepässe, Impfausweise mit frischer Covid-Impfung, Krankenversicherung, Hotelbuchung für die ersten Nächte, Kopie vom Ticket für die Fähre und Mietwagenbuchung – ich zweifle noch immer, dass damit alles klappen wird. Aber irgendwie geht es ja immer, denke ich und versinke in der Vorfreude.
Vorfreude oder doch Erinnerung?
Ich freue mich auf die kunterbunten Farben, auf chaotische Märkte und das tiefblaue Meer. Auf Sonne, Wärme und Palmen. Raus aus dem kälter werdenden Oktober in Deutschland. Raus aus der Dunkelheit. Hinein in das pure Leben. Ich freue mich auf die ungebremste Lebensfreude, auf Herzlichkeit und lautes Lachen. Auf spontane Tänze bei dröhnender Musik. Ich freue mich auf gegrillte Kochbananen, Aloko, auf frische Mangos, zuckersüße Ananas und den Saft frisch aufgeschlagener Kokosnüsse. Und ich bin gespannt auf die kleinen Überraschungen am Wegesrand. Und auf all das, was nicht so läuft wie geplant, um dann mit viel Kreativität und Dank helfender Hände doch irgendwie zu funktionieren. Auf eine charmante, unperfekte Art.
Endlich wieder Westafrika! Nach zweieinhalb Jahren geht es zurück in die Region Afrikas, die ich während meiner Jahre in Togo und Côte d’Ivoire ins Herz geschlossen habe. Zur Abwechslung dieses Mal nach Senegal. Lediglich in den Urlaub, aber immerhin für drei volle Wochen.
Ankommen in Dakar
Eine Stunde zu spät treffen wir mitten in der Nacht in Dakar ein. Es ist bald 1 Uhr. Als ich aus dem Flughafen trete, schlägt mir warme Luft entgegen. Am Rande der Absperrung entdecke ich das Schild mit unseren Namen. Geduldig wartet unser Abholservice. Als wir auf den älteren Mann in seinem Boubou zutreten, zeigen sich schiefe Zähne im grinsenden Mund.
Im Auto suche ich auf der Rückbank vergeblich nach dem Sicherheitsgurt. Schwüle Hitze hüllt mich ein. Der Fahrtwind dringt träge durchs offene Fenster. Angestrengt versuche ich im Dunkeln einen ersten Blick auf Dakar zu erhaschen. Einzelne Palmen zeichnen sich ab. Unfertige Bauten erheben sich am Horizont. Auf der Stadtautobahn schieben wir uns an überladenen, schrottreifen, kaum beleuchteten Lastwagen vorbei. An der Mautstation blicken wir ins überfüllte Innere eines Minibus. Lautes Lachen, Singen und Trommeln dringt zu uns hinüber, hängt einen Moment in der Luft und zieht dann weiter. „Willkommen zurück“ denke ich und lass mich mit einem Lächeln ins Polster zurück fallen.
Das süße Leben der Expats
Unser Hotel in Dakar liegt im ruhigen Plateau-Viertel direkt am Meer. Versteckt hinter dem Präsidenten-Palast. Am Wochenende tummeln sich hier die Expats, die mit ihrem oft europäischen Gehalt ein gutes Leben in Dakar führen. Sie sonnen sich am Pool, springen ins Meer und genießen die Zeit mit der Familie oder Freunden bei gutem Essen und dem ein oder anderen Drink. Auch ich habe in Togo oder Côte d’Ivoire die Wochenend-Ausflüge in Strandhotels geliebt. „Hach, das süße Leben eines Expats“, denke ich sehnsüchtig, nippe an meinem Bissap-Saft und lausche den Vögeln im Boabab neben mir.
Die dunkle Seite der Geschichte
Über den Pool blicken wir auf den Atlantik und sehen in der Ferne die Umrisse der Ile de Gorée – einst Umschlageplatz für Sklaven, heute viel besuchtes Mahnmal und die wohl wichtigste Sehenswürdigkeit von Dakar. Wir nehmen uns einen Tag Zeit, um in die dunkle Geschichte einzutauchen.
Der idyllische Schein der bunt angemalten, herrschaftlichen Häuser trügt. Ähnlich eindrucksvoll wie in den alten Sklavenburgen an Ghanas Goldküste erzählt die Insel von den harten Zeiten der Kolonisation, der Unterdrückung und grausamen Verschleppung tausender, Millionen von Menschen auf die Plantagen der neuen Welt in Übersee. Ein Schicksal, dass die Länder Westafrikas eint. Eine Geschichte, in der Europa eine verhängnisvolle Rolle spielte – dessen Bedeutung ich erst in Westafrika erkannte.
Dakar – Senegals Metropole
Dakar erinnert mich an Abidjan. Kleiner, und zum Glück mit sehr viel weniger Staus – aber der gleiche Mix aus afrikanischem Chaos und westlicher Moderne. Wieder spüre ich den Kontrast zwischen Reich und Arm auf engstem Raum. Ein Schmelztiegel, fruchtbarer Boden für Kunst, Kultur und Kreativität. In der Dunkelheit machen schicke Restaurants, einfache Bars, Discotheken und Clubs die Nacht zum Tag. Vieles kommt mir sooo bekannt vor.
Knapp drei Millionen Menschen leben in Dakar. Das es nicht mehr sind und die Stadt nicht nach allen Seiten ausfranst, verdankt Dakar seiner Lage auf der Halbinsel Cap Vert. Auf drei Seiten vom Meer umgeben, verleiht der Atlantik der Metropole seinen ganz besonderen Charme. Surfer stürzen sich in die Wellen, Fischer stechen in bunten Pirogen in See, Kinder toben im Wasser. Beliebter Treffpunkt am Abend ist die Corniche, die Hauptstraße am Meer entlang. Davor ist der Strand unverbaut und steht allen offen – egal ob reich oder arm. Die kleinen Buchten vor der Corniche zählen zu meinen Lieblingsorten in Dakar.
Hinein in das bunte Leben
Wir lassen uns treiben, schlendern über den kunterbunten Markt von Tilène. Auf der Suche nach Orangen durchstöbern wir die Gänge. Wie herrlich wäre jetzt eine frische Frucht, aus der ich den fruchtigen Saft saugen kann. Schließlich finden wir welche. Importiert aus Marokko.
Importiert, wie zahlreiche Früchte in Senegal. Am Straßenrand, wo ich frische Papayas, Mangos und Ananas direkt von den Feldern Senegals erwarte, reihen sich Äpfel, Birnen, Trauben und sogar einige Pflaumen auf den Ständen. Die Bananen stammen aus der Elfenbeinküste, erfahre ich. Heimisch sind die zahlreichen Erdnüsse, abgefüllt in Flaschen oder kleinen Tüten. Erdnüsse sind wichtiges Exportgut Senegals, können aber nicht mit der günstigen Produktion in den USA mithalten, weshalb der Export sinkt. Größtenteils für den Eigenbedarf sind dagegen die Massen an Wassermelonen, die jetzt in der Erntesaison, die Märkte überschwemmen.
Im Taxi fahren wir weiter. Richtung Meer. Als würde es in Dakar eine andere Richtung geben? Geduldig schiebt sich das Auto durch eine Flut an Stadtbussen und bunt bemalten Tschegendais – die Gemeinschaftstaxen in Dakar. Dazwischen schlängeln sich Motos, schieben sich Fußgänger hindurch und suchen sogar Radfahrer ihren Weg. Mehrmals streifen wir fasst eine Person, so dass ich schon zusammenzucke. Als jemand den Spiegel unseres Taxis rammt, würdigt unser Fahrer dem nur einen kurzen Blick und fährt dann unbeirrt weiter. Auch diesen Alltag im Verkehr kenne ich aus Abidjan. Jetzt muss ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen.
Ordnung im Chaos
Nach dem Gewusel auf dem Markt wirken die rasterfömigen breiten, geteerten Straßen des Plateau-Viertels richtig aufgeräumt. Hier habe ich fast den Eindruck in einer westlichen Großstadt zu stehen. Wir bewundern den weitläufigen, begrünten Place de l’Independence. Repräsentativ ist er mit Flaggen geschmückt. Wie auch in Abidjan ist das Plateau das geschäftige Business-Centrum mit Banken, Versicherungen, Ministerien, Botschaften und jeder Menge anderer offizieller Gebäude. Wenn das Leben am Abend an der Corniche beginnt, wird es hier leer. Die Straßen verlassen.
Ganz anders ist der Eindruck in Ouakam, im Viertel vor dem alten Flughafen von Dakar. Touristen verschlägt es kaum hierher, obwohl ganz in der Nähe die gigantische Statue de la Renaissance über dem Häusermeer thront. Staubige Gassen führen durch die eng stehenden Häuser.
Der ganze Stadtteil scheint in Bewegung. Straßenhandel und kleine Shops an jeder Ecke. Bana-bana nennt sich der informelle Sektor, der in Ouakam auf Schritt und Tritt präsent ist. In ganz Senegal soll das informelle Geschäft sogar etwa die Hälfte des Bruttosozialprodukts ausmachen. Viele Einwohner in Ouakam oder anderen Randbereichen Dakars können sich aus dem meist spärlichen Einkommen bei steigenden Preisen nur schwer das Leben in Dakar leisten.
Cheb, Cheb und noch mehr Cheb
Vor mehr als 10 Jahren hat Exonam in Dakar gelebt. Heute besuchen wir seine Schwester und ihre Kinder. Das frisch gestampfte Foufou schmeckt so köstlich nach über zwei Jahren. Ich lange ordentlich zu! Erst später auf unserer Senegal-Reise stelle ich fest, dass sich das Essen stark von dem in Togo unterscheidet. Sehr viel weniger abwechslungsreich ist. Foufou, das Nationalgericht Togos, kennt man hier eigentlich nicht. Dafür gibt es an jeder Ecke Thieboudienne – Fisch mit Reis. Cheb (Reis) ist die Basis der Ernährung. Dazu meist eine Zwiebelsoße. Und natürlich Attaya, der süße Minztee erinnert mich eher an Marokko.
Den besten, fangfrischen Fisch essen wir am Strand von Dakar. Ich habe von den Garbuden gelesen und möchte unbedingt dort hin. Gar nicht so leicht zu finden – wir landen zunächst am Fischmarkt und fragen uns durch: Natürlich kennen die jungen Männer am Straßenrand einen der Fischbuden-Inhaber. Der auch zufällig gerade vorbeikommt und uns nach seinem Fischeinkauf einladend persönlich an den Strand bringt.
Unseren perfekten Fisch wählen wir aus der Auslage am hölzernen Stand. Über dem offenen Feuer wird dieser für uns gegrillt und unter den bunten Sonnenschirmen am Strand serviert. Wie habe ich es geliebt, bei einem Ausflug in Lomé frischen Fisch am Strand zu essen und derweil das Leben um mich herum zu beobachten. So auch hier in Dakar: Jungs preisen lauthals ihren „Citron à la menthe“ an und gießen heißen „Gingembre au miel“ aus großen Thermoskannen in kleine Pappbecher. Strandverkäufer halten ihre bunten Kinderspielzeuge in die Luft. Männer führen ihre Familien zum Essen aus. Im Wasser vor uns toben Kinder und Jugendliche üben sich im Schwimmen.
Senegal ist Senegal
Beim Blick auf die untergehende Sonne, lasse ich die letzten Tage Revue passieren. Ein wenig hat sich Dakar angefühlt wie nach Hause kommen. Vieles erinnert mich an Abidjan oder an meine Jahre in Togo. Es ist vertraut und fühlt sich gut an.
Doch wenn ich genau hinschaue, tauchen immer mehr kleine und größere Unterschiede auf: Seien es die heißen Getränke am Strand. Das Essen. Pferdekarren, die neben den blankgeputzten SUV und unzähligen Taxen um die Ecke biegen. Oder die Präsenz des vorwiegend muslimischen Glaubens durch die zahlreichen Moscheen.
Nein, Senegal ist nicht Togo. Nicht die Elfenbeinküste oder Ghana. Senegal ist sein ganz eigenes, spannendes Land. So nehme ich mir vor, nicht weiter nach dem Bekannten zu suchen. Mich von meinen eigenen Vorurteilen zu befreien und mich auf der weiteren Reise auf die individuelle, unvollkommene Schönheit des Landes voll einzulassen.
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