Historische Daten haben mich nie besonders begeistert. Sie bleiben einfach nicht in meinem Gedächtnis hängen. Die Kapitel zur Geschichte in Reiseführern überfliege ich nur. ABER, wenn ich ein neues Land kennen lerne, gehört Geschichte einfach dazu. Diese drei Orte in Togo hinterlassen bei mir ein Gefühl für die frühe Historie des Landes. Anstatt harte Fakten zu vermitteln, gewähren sie einen anschaulichen Blick in historische Zeiten.
Die Wiege der Ewé in Notse
„Vor vielen hundert Jahren verließ der Stamm der Ewé seine Heimat in Ägypten. Der grausame Grund: Ägyptische Könige hießen einmal im Jahr die Jungfrauen unter den Ewé-Mädchen zwischen 17 und 21 Jahren zu sich kommen. Und opferten sie anschließend ihren Göttern.“ Während mir ein Freund von Ewé ins Französische übersetzt, wartet der Mann geduldig bevor er fortfährt. Trotz seines Alters zeichnen sich die Muskeln auf dem freien Oberkörper ab. Seine alte, verdreckte Hose wird von einem Band zusammengehalten. Er pflegt die historische Ausgrabungsstätte in Notse und erzählt uns Stolz und mit Herzblut die Geschichte seiner Vorfahren, der Ewé. Einer von gut 50 Ethnien in Togo.
Was genau belegt ist, was eine von mehreren Varianten und was Ausschmückungen sind, bleibt unklar. Klar ist, dass die Ewé eine lange Völkerwanderung auf sich genommen haben. Als friedliches Volk sind sie immer wieder vor Kämpfen geflüchtet. Auf ihrem Weg durchquerten die Ewé Savanne und Wüste, bis sie nach Nigeria kamen. Viele Ortsnamen von Nigeria über Benin bis Togo lassen sich heute noch auf die Ewé zurückführen, die allem anschauliche Namen in ihrer Sprache gaben.
„In einem Wald ließen sich die Ewe schließlich nieder. Nachdem bereits zwei seiner Männer im Wald verschollen waren, machte es sich der König selbst zur Aufgabe das Gebiet zu erkunden. Er stieß auf einen Elefanten, der an einem See trank. Es gelang dem König das Tier zu erlegen und er rief seine Leute zu sich. Sie stärkten sich an dem Fleisch, aßen, ohne dass es weniger wurde. So befahl der König seinem Volk sich hier anzusiedeln.“
Ihre neue Heimat sicherten die Ewé mit einer riesigen Mauer, vier Meter hoch und sechs Meter breit. „Von einem Umfang, dass die eingesetzten Wachen eine Woche unterwegs waren, bevor sie die Mauer einmal umrundet haben.“ Alles per Hand errichtet und aus Erde geformt. Eine enorme Kraftanstrengung. „Aus Schweiß und Blut errichtet“ heißt es überliefert. Erstaunt horchen meine togolesischen Begleiter auf, dass jedoch tatsächlich kein Blut zum Bau der Mauer geflossen ist. So haben sie es gelernt und so ist es in den Schulbüchern geschrieben. Einer Sage nach, ließ der grausame Häuptling Nägel in den Boden stecken, damit sich durch das einsickernde Blut der darüber laufenden Untertanen der Boden aufweiche und der Schlamm für den Mauerbau zu verwenden war.
Ein Rest dieser Mauer lässt sich heute in Notse besichtigen. Einige hundert Meter weiter ist ein weiteres Stück Mauer nachgebaut, um an die alte Fertigung zu erinnern und das Wissen zu konservieren. Notse bleibt für die Ewé ein bedeutender Ort. Zur Ausgrabungsstätte kommen des nachts noch heute die traditionellen Stammesoberen zum Beten. Auch das größte Fest der Ewé wird einmal im Jahr in Notse gefeiert.
Etwas später haben sich die Ewé von ihrem grausamen König befreit und sich im ganzen Süden Togos verbreitet. Bis nach Kpalimé und über die heutige Grenze nach Ghana. Auch wenn sich die offiziellen Verkehrssprachen unterscheiden, bleibt die enge Verbindung bestehen. Nicht nur, weil die Sprache der Ewé bis heute weiter lebt.
Im Hafen der Sklaverei von Agbodrafo
Ich lasse mich hinab durch die enge Kellerluke. Krieche über den sandigen Boden auf allen Vieren. Kaum einen halben Meter hoch ist das Verließ, in dem ich mich befinde. Ich sehe vor mir im schwachen Licht meinen Vordermann im Nebentrakt verschwinden. Schließlich zwänge ich mich durch die halb zerfallenden Holzbalken, um wieder ans Tageslicht zu gelangen.
In diesem beengten und dunklem Keller des Herrenhauses warteten einst hunderte Sklaven teils über Wochen auf ihr Schiff nach Übersee. Darüber ein herrschaftliches Anwesen, großzügig geschnitten, lichtdurchflutet und für die damalige Zeit opulent eingerichtet. Das dekorative Gebäude aus dem Jahr 1835 ist weitgehend erhalten und wurde mit Hilfe der UNESCO saniert. Als ‚Maison des esclaves‘ oder ‚Wood house‘ in Agbodrafo vermittelt es eindrucksvoll ein dunkles Kapitel in Togos Geschichte.
Togo gehörte Ende des 17. bis ins 19. Jahrhundert zur Sklavenküste Westafrikas. Hier boomte der Handel mit afrikanischen Arbeitskräften. Einer der Sklavenhäfen zum Transport der ‚Neger‘ in Übersee befand sich in Agbodrafo.
Unser Guide erzählt uns anschaulich, wie Sklaven und Sklavenhändler hier lebten. Die einen eingepfercht, kaum zu essen, im Dunkeln und in unwürdigen Zuständen. Direkt über ihren Köpfen, nur durch einen löchrigen Bretterboden getrennt, lebten die Herren. Speisten königlich, feierten rauschende Feste und holten sich des nachts eines oder mehrere der Mädchen aus dem Verliess zu ihrem Vergnügen hinauf.
„Froh sein durfte, wer nicht schon hier oder noch schlimmer auf der Überfahrt verstarb und als Sklave weiterleben durfte“, endet er seinen Bericht und blickt in die Runde der weißen Gesichter, in denen nachdenkliches Schweigen herrscht.
Togoville – darum heißt Togo heute Togo
Mit einer kleinen Barke stechen wir in See. Im wahrsten Sinne des Wortes: hinten auf dem kleinen Holzboot, stakt uns ein junger Mann mit kräftigen Hieben eines 4 bis 5 Meter langen Stockes voran. Im Bug schaukeln die geladenen Motorräder bedenklich bei jeder Welle. Die Passagiere samt Kleinvieh auf dem Schoß nehmen es gelassen. Wir gleiten vorbei an den Reusen der Fischer. In der Ferne überspannt eine große Brücke zum Transport des angebauten Phosphat den See.
Etwa 20 Minuten dauert die Fahrt über den Lac Togo nach Togoville. Ein weiterer geschichtsträchtiger Ort des Landes. Hierher kommt der König Mlapa, der 1884 den Schutzvertrag mit den Deutschen unterschrieben hat. Die erste Hauptstadt Togos ist gleichzeitig ihr Namensgeber. In Ewé bedeutet Togoville treffend ,Stadt am anderen Ufer’.
Einst war es der Chef-Féticheur der Ewé, der sich hier niederließ. Und noch heute ist Togoville ein mystischer Ort und Zentrum des Voodoo. Bei unserer Tour durch den Ort, begegnen uns dessen Zeichen auf Schritt und Tritt. Flaggen weisen auf die Häuser hin, in denen Voodoo praktiziert wird. Andere sind aufgrund ihrer bunten Bilder an den Wänden gar nicht zu übersehen. Fetische vor den Haustüren sorgen für Schutz, andere dienen verschiedenen Ritualen.
Zum Beispiel bringt der große männliche Fetische des Ortes Regen. Der weibliche dagegen stoppt den Regen. Das die Zeremonien hierzu auch heute noch regelmäßig stattfinden, zeigen die Spuren von Öl, Gin und Mais, die an den Fetischen kleben. Neben den Opfern von Tieren ist es Teil der Zeremonie, diese Gaben auf den Fetische zu werfen.
Auch sonst birgt Togoville noch einige heilige und geschichtsträchtige Orte: Die katholische Kirche zu Ehren der Mutter Gottes, die einst auf dem Lac Togo erschienen ist. Der Steg, an dem Papst Jean-Paul II 1985 von Board ging. Der Platz, an dem sich die Sklaven ein letztes Mal wuschen bevor es zum Weitertransport ging…
Für meinen Geschmack dann doch ein bisschen viel Geschichte. Aber den Markt hätte ich gerne noch gesehen. Jeden Mittwoch tauschen die Marktfrauen hier ihre Waren, anstatt diese mit Geld zu bezahlen. Ein weiteres Überbleibsel aus der Vergangenheit.
Orte in Togo, an denen Geschichte Lebendig wird:
Stadtmauer von Notse: Geschichte vom „Hauswart“ 1000 F CFA
Maison des esclaves: Eindruchsvolle Führung und Schilderung, die im Gedächnis bleibt, 2000 F CFA
Togoville: Führung durch den Ort, 2500 F CFA
Übersetzen mit dem Boot, ca. 2500 F CFA für Hin- und Rückfahrt (Verhandlungssache) – etwa 20 min. vom Einstieg etwas hinter Agbodrafo Richtung Benin, Ableger direkt aus dem Ort ca. 1 Stunde
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