Entschleunigung, Achtsamkeit – alle Welt redet davon. Ratgeber und Magazine überschlagen sich förmlich zu dem Thema.
Auch ich habe am Flughafen nach meinem Deutschland-Besuch ein Geo-Wissen-Heft mit dem vielsprechenden Titel ‚Zeit für die Seele‘ erworben. Und tatsächlich von A bis Z gelesen. Das war schon einmal viel, viel achtsame Zeit. Doch mindestens genauso viel zu diesem Thema nehme ich aus meinem Wochenende in Badou mit.
Langsam auf dem Weg in die Entschleunigung
Ich fahre nicht besonders gerne Auto. Die Fahrt ist für mich Mittel zum Zweck. Ich will ankommen. Und das ohne viel Zeit zu verlieren. Doch auf dem Weg nach Badou könnte ich ewig weiter fahren. Die Musik drehe ich laut auf. Der Fahrtwind weht durchs offene Fenster.
Im wahrsten Sinne des Wortes schalte ich einen Gang zurück und ganz nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ kurve ich langsam in Serpentinen aufs Plateau hinauf. Nach jeder Kurve öffnet sich ein neuer Blick über das weite Tal. Statt an ihr vorbei zu rasen, nehme ich die Landschaft bewusst wahr: die Lehmhäuser am Straßenrand. Die Leute vor den Hütten. Die bunten Obstauslagen am Straßenrand.
Vom Plateau aus blicken wir ins Grüne. Rundherum grün. Bislang war ich überzeugt, Kpalimé sei die grünste Gegend Togos. Doch damit lag ich eindeutig falsch – die Gegend rund um Badou ist auf jeden Fall noch grüner. Und vor allem stärker bewaldet. Grün soll sich positiv auf die Seele auswirken, denke ich, und merke förmlich wie sich Ruhe in mir ausbreitet.
Im Fluss der Gedanken
Meine Gedanken schweifen bei der Fahrt genauso entspannt umher wie mein Blick. Ist es nicht genau diese Denkweise, die neue Ideen fördert? Sind nicht die ungelenkten, die abschweifenden Gedanken, die kreativsten?
Hinter jeder Kurve ist es noch ein wenig schöner und ich muss erneut anhalten, um ein weiteres Foto zu schießen – leider nur mit dem Handy, da das letzte Gewitter den Akku meiner Digitalkamera in der Ladestation zerstörte. So wie auch diverse Birnen, Ladekabel und Sicherungen durchbrannten. Kann passieren, hier in Togo. Die meisten Häuser haben keinen Blitzableiter. Die Gewitter sind umso heftiger. Und nicht immer denke ich daran, die Sicherung und die Stecker aller Geräte abzuziehen.
Sowieso verliert Technik und Digitalität für mich in Togo an Bedeutung, grüble ich weiter. Zum Beispiel habe ich es mir angewöhnt mein Handy nachts in den Flugmodus zu schalten. Um den angeschlagenen Akku zu schonen und weil ich abends oft ohnehin keinen ordentlichen Empfang habe. Noch in Deutschland wäre das undenkbar gewesen. Viel weniger beherrscht das kleine Gerät hier mein Leben.
Zufrieden mit dem was da ist
Ein letztes Mal drehen wir uns um einen Berg und biegen in Badou ein. Die Kleinstadt zeigt sich in der für Togo typischen Chaotik. Im Vorbeifahren finden meine Augen keinen Halt – zu viele kleine, bunte Details. Ich erhasche nur einzelne Szenen. Ein völlig überladener Minibus biegt vor uns auf die Straße. Motos kurven hupend um die Ecke. Kinder laufen wild winkend an den Straßenrand und rufen mir aufgeregt ‚Jovo, Jovo‘ entgegen, sobald sie mich im Auto entdecken.
Wir quartieren uns in einem der zwei Hotels des Ortes ein. Komfort und Charme ist hier Fehlanzeige. Die Zimmer sind wenig geschmackvoll, aber funktional. Die ‚Speisekarte‘ besteh aus wahlweise Reis oder Couscous mit Tomatensoße und wahlweise Fleisch oder Hühnchen.
Dann doch lieber in der Stadt etwas essen. So suchen wir zum Mittag am Straßenrand nach einem Snack. Bei einer netten Dame erstehen wir Reis und Bohnen, vermischt mit Maismehl und rotem Palmöl. Avocado finden wir nirgends, also reichen als kleines Schmankerl obendrauf auch ein paar Stücke frittierter Vangash, der hier verbreitete Weichkäse.
Mit den bunten Plastiktellern in der Hand ziehen wir weiter. Auf der Suche nach einer passenden Sitzgelegenheit. In einem der wenigen Bar-Restaurants lassen wir uns nieder. Eine kühle Cola dazu bestellt, nimmt uns niemand übel higer unser mitgebrachtes Essen zu verzehren. Zufrieden schaue ich mich um. Was brauch es mehr? Und ich schätze mich glücklich, Reisen zu können.
Achtsam die Welt beobachten
Von der Terrasse aus beobachten wir das Treiben auf der Straße. Mein liebster Zeitvertreib in Togo. Mit etwas Abstand und wenn zumindest ich selbst mich nicht bewege, sondern nur die Welt um mich herum, kann ich mich in die Details vertiefen.
Vor dem Restaurant hocken zwei alte Männer auf kleinen Schemeln in langen Gewändern. Die typischen muslimischen Takke auf dem Kopf. Eine junge Frau kommt vorbei und grüßt sie respektvoll. Unter ihren Armen lugen die kleinen Füßchen des auf den Rücken gebundenen Babys hervor. Gegenüber reihen sich einige Holzstände auf. Unter den Schatten spendenden Dächern warten die Marktfrauen auf Kundschaft. Oder einfach auf einen Plausch mit Bekannten, die sich für einen Moment zu ihnen gesellen. Um sie herum balgen sich Kinder. Laufen rollenden Reifen hinterher. Eine ganz normale togolesische Kleinstadt eben.
Während ich so dasitze und das Treiben um mich herum beobachte, denke ich über einige Werte der Togolesen nach. Der Respekt den ‚Alten‘ gegenüber. Der Sinn für Gemeinschaft. Eine Gelassenheit ohne Hetze zum nächsten Termin.
Zeit vergeuden – Zeit verschenken
Am Nachmittag werde ich unruhig. Wir haben doch nur ein Wochenende. Für morgen steht das Programm, aber heute? Viele touristische Highlights verspricht mein Reiseführer nicht von der Gegend. Aber ich will keine Zeit vergeuden und etwas sehen. So machen wir uns auf, und suchen die im Reiseführer wage benannte Ananas-Kooperative in der Umgebung.
Niemand in Badou kennt die Kooperative. Dafür hören wir immer wieder von einem Bio-Ananasbauern. Er ist für seine Früchte bekannt. Die Leute reisen von weit her an, um bei ihm zu kaufen. Ok, dann soll das also unser Ziel sein.
Im niederprasselnden Regen schleichen wir langsam über die holprige Piste. Nach etwa einer halben Stunde durchqueren wir einige kleine Dörfer, mitten im grünen Wald. Neben den einfachen Lehmhütten geben die vereinzelten kolonialen Gebäude und die imposante Kirche ein bizarres Bild ab.
An einer Weggabelung sehen wir das Hinweisschild auf den Wasserfall Akloa – das Highlight der Region und unser Ziel für morgen. Wir holen schon einmal ein paar Informationen ein und kommen ein wenig ins Plaudern. Bei unserer Frage nach dem Ananasbauern springt zugleich ein Junge zu uns ins Auto, um uns den Weg zu zeigen. Beim ersten Mal war ich etwas verunsichert als ein Fremder kurzerhand ins Auto steigt, um mich zum Ziel zu begleiten. Heute nehme ich die Geste der Hilfsbereitschaft freudig an. Ohne ein Entgelt zu erwarten, schenkt der Junge uns seine Zeit.
Ananasbauer mit Leidenschaft – mit Passion bei der Arbeit
Am Ananasfeld angekommen, ist auch der Regen vollends versiegt. Erst jetzt frage ich mich, was ich mir eigentlich von dem Besuch erwarte? Ein paar leckere Ananas vielleicht… Auf jeden Fall schieße ich erstmal einige Fotos. Die Wolken lösen sich langsam aus den Bergen und ziehen über das Ananasfeld.
Als ich mich umdrehe, hat der Junge auch schon die Besitzer herbeigerufen. Eilig kommt der Ananasbauer angelaufen. Hinter ihm seine Frau. Beide vielleicht um die 60 Jahre. Drahtig. Quirlig. Sie lachen uns an und scheinen sich ungemein über unseren Besuch und das mitgebrachte Interesse zu freuen.
Mit Stolz präsentiert uns der hagere Bauer sein Feld. Seine Haut ist ledrig. Er ist aus Ghana über die nahegelegene Grenze gekommen. Seit vier Jahren pflanzt er hier seine Ananas. In Notse hat er das nötige dafür gelernt. Nun ist er leidenschaftlicher Farmer.
Gerne gibt er sein Wissen auch an uns weiter. Eifrig läuft er uns voran durch das Feld und zeigt uns, wie er die Blätter entfernt und die Ananasköpfe in die Erde pflanzt. Wie er umkippende Früchte mit Stöcken stützt, damit sie nicht in der Sonne verfaulen. Wie er andere Pflanzen zwischen die Ananas anbaut, um Schatten zu spenden. Und wie er nach 4 bis 6 Monaten mit der Machete erntet. Auf Pestizide verzichtet er komplett – 100 Prozent Bio, betont er immer wieder.
Auch auf die Frage nach der Sorte, bekomme ich nur ‚Bio‘ zu hören. Jede weitere Einordnung scheint unnötig. Oder scheitert an Verständigungsproblemen. Aber was klar ist, für die flaschenförmige ,Brazaville‘ ist es hier zu feucht.
Klein und rund sind die Ananasköpfe. Und zuckersüß. Ich muss sagen, es ist die beste Ananas, die ich bislang irgendwo gegessen habe. Sie schlägt sogar die Brazaville aus Notse.
Verschmitzt lachend hüpft seine Frau bei der Verköstigung um mich herum und redet in der Lokalsprache auf mich ein. Das ich kein Wort verstehe scheint sie nicht zu stören. Sie amüsiert sich köstlich und besteht auf ein Abschiedsfoto bevor wir weiter ziehen.
Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, einige der köstlichen Ananas zu kaufen. Doch anstatt als kleines Trinkgeld das entgegen gereichte Geld zu akzeptieren, bekommen wir noch weitere frisch geschlagene Früchte in den Kofferraum geladen – so können wir in Kpalimé die Köpfe selbst pflanzen und Bio-Ananas züchten.
Cascade de Akloa – die Magie der Natur
Am nächsten Tag geht es zur Cascade de Akloa. Einem der schönsten Wasserfälle des Landes, heißt es.
Unser Guide läuft schnellen Schrittes voran. Mitten über die Höfe des kleinen Ortes. Neben uns spielen Kinder mit Murmeln auf dem sandigen Boden. Über uns schaukelt bunte Wäsche an den Leinen.
Wir tasten uns durch sumpfiges Gebiet, in dem Reis angebaut wird. Unter den ersten Bäumen erreichen wir einen Fluss. Von weitem sehe ich die alte, hoch über das Gewässer führende Brücke. Die Bohlen des Stegs sind morsch. Zwischen ihnen klaffen riesige Löcher. Die Treppe fehlt. Aus den Seiten der Treppengeländer ragen nur kurzer Eisenstangen. ,Da sollen wir rauf?´ Wie angewurzelt bleibe ich mit skeptischem Blick stehen. Ich überlege, ob ich lieber umkehren soll.
Dabei habe ich gar nicht bemerkt, dass unser Guide längst mitten im Wasser steht. Er winkt mir aufmunternd zu. ,Ist hier ganz einfach und nicht tief‘, meint er und zeigt uns den Weg. Erleichtert ziehe ich meine Schuhe aus und wate hinterher.
Der Weg ist nicht anstrengend: Es geht auf schmalen Pfaden hinauf und wieder hinunter. Über Stufen aus Steinen, über Wurzeln und noch drei weitere Male durch den Fluss. Im Einklang mit der Natur marschieren wir voran. Eine innerliche Ruhe breitet sich in mir aus.
Nach einer dreiviertel Stunde stehen wir vor dem Wasserfall. Er ist wirklich toll. Wie in einer Höhle steigen zu drei Seiten die Hänge, grün bewachsen, steil empor. An der vierten Seite plätschert der Fluss hinab. Ehrfurchtsvoll blicken wir zur Klippe hinauf, über die sich das Wasser laut rauschend tief hinab stürzt.
Der Regen aus der Nacht zuvor hat die Luft abgekühlt und auch jetzt hängen graue Wolken tief im Wald. Bevor das Schauer kommt, machen wir uns auf den Rückweg. Steigen über Stufen und folgen dem Weg über Hügel hinauf und hinab. Durchqueren viermal den Fluss, waten durch sumpfiges Gebiet und unter Wäscheleinen hindurch zurück in den Ort.
Meine Auszeit für die Seele
Auf der Rückfahrt realisiere ich, dass dieser Wochenendausflug tatsächlich pure Zeit für die Seele war. Vollgetankt mit neuer Energie für die kommende Woche fahren wir zurück nach Kpalimé.
Informationen zum Aufenthalt in Badou:
Anreise:
Von Kpalimé ca. 3 Stunden Fahrzeit
Nach Atakpamé ca. 1,5 bis 2 Stunden Fahrzeit
Hotels:
Hotel Abuda: größere Zimmer mit Klimaanlage, sauber. Wahlweise mit oder ohne heißes Wasser, 13000 bis 17000 FCFA. Tipp: Frage nach Zimmern in der oberen Etage mit kleinem Balkon. Essen sowohl vom Ambiente als auch von der Auswahl nicht überzeugend.
Hotel Billygrace: Zimmer klein und eng, 8 000 F CFA mit Ventilator. Tipp: Die Zimmer oben nach hinten raus haben vom Balkon einen tollen Blick auf die Berge.
Aktivitäten:
Cascade Akloa: Piste, ca. 30 Minuten von Badou, kurz vor dem Ort Tomegbe. Fussmarsch ca. 45 Minuten, 1500 FCFA pro Person
Ananas-Plantage: Piste Richtung Cascade Akloa und weiter geradeaus hinter dem Ort Tomegbe.
Für mich zählt die Region von Badou zu den Highlights in Togo. Was sonst noch dazu zählt, erfährst du in meinem Artikel: ► Sehenswürdigkeiten in Togo
Femke Grabbert
7. August 2018Meine liebe Elfe B, das ist ein toller Artikel mit sehr schönen Fotos! Deine Elfe F
Britta
7. August 2018Danke liebe Elfe F. Ich freu mich schon, wenn ich dir all die schönen Plätze hier in Togo mal live zeigen kann! Deine Elfe B
Laura
25. Juli 2018Liebe Britta, sie passiert wirklich im Kopf, diese Entschleunigung und Achtsamkeit. So eine schöne Landschaft, so nette Leute und eindrückliche Erlebnisse helfen der Entspannung dann natürlich schon auf die Sprünge. Das Lesen deines Artikels war meine kleine Auszeit. Diese Achtsamkeit in den Alltag zu Hause einzubauen, ist derzeit meine nächste Herausforderung.
Alles Liebe!
Britta
7. August 2018Liebe Laura, für den Alltag habe ich mir ein kleines Ritual geschaffen: jeden Tag nach der Arbeit verbringe ich etwas Zeit (mal nur ein paar Minuten, mal eine halbe Stunde) auf der Dachterrasse, höre die Vögel zwitschern, spüre den Wind auf der Haut, schaue ins unendliche grün um mich herum. Pure Zeit für mich und unheimlich gut, um allen Stress, alle Anspannung des Tages hinter mir zu lassen. Ich wünsche dir, dass du ebenfalls so eine ‘Achtsamkeits-Insel’ im Alltag findest!